Gender bias

In meiner Anfangszeit als Zahnärztin in einer privaten Zahnklinik in Berlin-Dahlem erlebte ich viele Male, dass ich von älteren, männlichen Patienten „Schwester“ angesprochen wurde, bevor und nachdem ich ihnen fachmännisch Zähne entfernt oder wahlweise erhalten habe.

Es ging ihnen nicht in den Kopf, dass diese junge Frau die Zahnmedizinerin sein sollte. Meine männlichen Kollegen, die auch nicht älter waren als ich, hatten keinerlei Probleme, als Zahnarzt identifiziert zu werden.

„Schwester!“ hörte ich dutzendfach. Ich lachte das damals weg und verzieh den Patienten, sie seien aufgeregt gewesen oder sonstwas. Und die Patienten selbst verwiesen auf „ach, sie wissen schon…“
Heute glaube ich, dass diese Patienten sich weigerten, sowohl mich als (junge) Frau als auch meinen ausländischen Namen als Ärztin anzuerkennen. Und doch ließen sie sich gerne von mir behandeln, was die Sache noch komplexer macht.

Weibliche Patientinnen haben mich in 20 Jahren Berufserfahrung niemals „Schwester“ genannt.

Vor einigen Wochen bewarb sich eine junge Frau bei uns als zahnmedizinische Fachangestellte. Ich führte alle Vorgespräche und Email-Konversationen mit ihr und wir verabredeten ein gemeinsames Vorstellungsgespräch mit meinem Praxispartner, der Bewerberin und mir.
Nachdem wir uns alle vorgestellt und unsere jeweiligen Kriterien geklärt hatten, fragte die Bewerberin meinen Kollegen, ob er der einzige Zahnarzt in der Praxis sei. Wir antworteten, „nein, wir beide sind die Zahnärzte hier“. Sie hakte nach „nein, ich frage, ob, Sie beide zahnärztlich tätig sind, oder nur Sie?“ – wieder an meinen Kollegen gewandt.

Die Bewerberin hat sich zuvor angeblich unsere Webseite angesehen, UND mit mir telefoniert und gemailt.
Ich finde es nach wie vor irritierend, solche Gender-Bias zu erleben.

 

5 Antworten auf “Gender bias”

  1. Eine Freundin von mir, die Gynäkologin ist, wurde in ihre Krankenhauszeit auch immer als Schwester angesprochen.
    Ich bin für Namensschilder auf dem Kittel mit Berufsbezeichnung. Erspart allen Peinlichkeiten.

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  2. Au weia, Karmen,
    du hast die Dame mit der, äh… hohen Intelligenz, hoffentlich nicht eingestellt…
    Wenn all die deutlichen Hinweise nix mehr helfen, dann nützt ein Namens-/Berufsbezeichnungsschild auch nix mehr. Wer lesen kann UND daraus Schlüsse ziehen kann, ist klar im Vorteil.
    Du brauchst wirklich einen guten menschlichen Ausgleich und starke Nerven oder?
    Einen freudvollen Sonntag, ganz ohne Schussel in deiner Nähe wünsch ich dir 🙂

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  3. Jetzt muss ich mich wirklich auch mal zu Wort melden.

    Du bist mit Abstand die beste Zahnärztin bei der ich je war. Männliche Zahnärzte mit eingeschlossen…
    Ich glaube echt nicht dass irgendjemand deine Kompetenz „übersehen“
    kann. Wahrscheinlich kommen diese alten Menschen nicht damit klar
    das sich die Welt verändert. Die Angst davor dass sich die geschlechtlichen
    Machtverhältnisse ändern und dass sie irgendwann so,
    wie junge Frauen heute, von oben herab behandelt werden könnten, lässt sie noch an alten Verhaltensmustern und Begriffen festhalten.
    Ich glaube und hoffe zwar dass solche Leute weniger werden, aber offensichtlich
    wird das Weltbild von manchen jüngeren Menschen leider noch,
    von diesen alten Verhaltensmustern beeinflusst.

    ABER, die Zukunft gehört dir und den nachkommenden Generationen für
    die du ein super Vorbild bist!

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